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: Quo vadis


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Beitrag von / Posted by salsero (p508AE402.dip.t-dialin.net 80.138.228.2) on 28 00, 2006 at 08:23:15:

Quo vadis, Salsa?
Ein Beitrag von Uwe Sonnenschein für SalsaDE

Quo vadis, Salsa?

Vor zehn bis fünfzehn Jahren verstand man unter „Latinomusik“ im Schwerpunkt noch Salsa und Merengue, keinesfalls aber Pop. Heute gilt alles als „Latino“, wo jemand drei Worte in Spanisch singt oder ein paar Kastagnetten klappern – so verkauft es sich fast von selbst. Daß z.B. ein Enrique Iglesias immer wieder insistiert, er sei Spanier und mache schon immer Spanish Pop aber keine Latinomusik, paßt nicht in die aktuellen Marketingstrategien und wird daher schlicht ignoriert.

Schon seit Jahren äußere ich die Befürchtung, Salsa würde als Inhalt immer mehr verschwinden und nur noch als Markenname erhalten bleiben. Fakt ist, daß die spanischsprachige Popmusik à la Ricky Martin und Shakira in breiten Kreisen der Bevölkerung bereits als Salsa verstanden wird.

Aber auch die Musik, die in der „Szene“ als Salsa gilt, sollte einmal kritisch hinterfragt werden. Es gab einmal eine Zeit, in der sich viele verschiedene Stilrichtungen nebeneinander und voreineinander beeinflußt unter dem Oberbegriff „Salsa“ ständig weiterentwickelten. In den letzten zehn Jahren kann man aber zunehmend beobachten, daß die US-amerikanische Marktmacht eine erdrückend beherrschende Stellung eingenommen hat.

Die Interpreten und Ihre Musik lassen sich kaum noch unterscheiden und man könnte fast meinen (ich weiß, es ist nicht so), es gäbe es in der gesamten Salsamusiklandschaft nur noch ein oder zwei Komponisten, deren Stücke verschieden arrangiert und von einer Stammanschaft von Studiomusikern mit wechselnden Leadsängern eingespielt werden. Ich persönlich nenne diese Stilrichtung bei mir „amerikanische Mainstream-Salsa“ und sehe das „amerikanisch“ dabei geografisch nicht ganz so eng. Gemeint sind die einschlägigen Interpreten vom Schlage eines José Alberto, Victor Manuelle und wie sie alle heißen.

Sicher gibt es, fast verborgen und oft ignoriert vom breiten Publikum und vielen DJ‘s, immer noch neue Entwicklungen wie im letzten Jahrzehnt z.B. die kubanische Timba und auch sonst gibt es immer wieder Interpreten, denen Authentizität und Kreativität wichtiger als kommerzieller Erfolg ist. Insgesamt erlebe ich aber zunehmend eine negative Interpretation des Begriffes „Salsa“, nämlich „Einheitssoße“.

So wie die Musik sich verändert hat, so wird heute auch anders getanzt. Ich erinnere mich in Deutschland an Studentenparties und alte Abbruchgebäude, denen mit völlig unprofessionellen Mitteln einfach dadurch Leben eingehaucht wurde, indem Salsamusik lief. Jeder bewegte sich irgendwie zur Musik und daß mußte nicht immer stimmig sein oder gut aussehen. Aber die Menschen hatten Freude und nahmen einander wahr, es knisterte zwischen Mann und Frau und was die Füße dabei machten, interessierte niemand. Die magische Kombination von Sehnsucht und Lebensfreude, die ich seit den 1980er Jahren in Lateinamerika, vor allem aber in der Karibik immer wieder erleben durfte, fand ihre deutsche Interpretation.

Viel ist davon nicht geblieben. Während man sich früher vor dem ersten Tanz mit Namen vorstellte und ein paar nette unverfängliche Worte wechselte, ist heute eine Aufforderung zum Tanz häufig wie eine Bewerbung nach dem Muster unserer Leistungsgesellschaft: „Ich habe bei XY den Anfänger- und Mittelstufenkurs gemacht, und Du?“ oder „Ich kann es noch nicht so gut. Würdest Du trotzdem mit mir tanzen?“

Außerdem erlebe ich einen Krieg der Stile: „Ach, die tanzt ‚nur‘ kubanisch, mit der kann ich nicht tanzen.“ oder „Ich mag den New York Style nicht, LA -Style ist viel besser.“

Vielleicht sollte man sich einmal daran erinnern, daß jede Salsamusik in clave gespielt wird (damit meine ich nicht, daß jedes Lied krampfhaft „on 2“ getanzt werden soll) und damit eine gemeinsame Grundlage hat, die dazu ausreichen sollte, daß Frau und Mann zu einem gemeinsamen Tanz finden. Die „Casineros“ (kubanischer Stil) haben damit offensichtlich weniger Probleme, da sie zwar meist etwas unspektakulärer, dafür aber näher an der Musik und ihrer Aussage tanzen und ihnen ihr Improvisationsvermögen über viele Hürden hinweghilft.

Die Liebhaber der nordamerikanischen Stile dagegen haben sich davon weit entfernt. Zunächst geht heute fast nichts mehr ohne die entsprechende „Ausrüstung“. Nach dem Betreten eines Lokales werden erst einmal die Schuhe gewechselt und der Tanzboden auf seine Tauglichkeit hin überprüft. Im übrigen kann man die in den Tanz eingebauten Effekte natürlich in entsprechender Kleidung besser „rüberbringen“. Dann wird heftig konkurriert mit Dips und Drops, mit open shines und eine zweifache Drehung ist schon lange kein „Hingucker“ mehr – eine „Dreifache“ muß es schon sein. Vielleicht ist deshalb auch die Mainstream-Salsa entstanden, um diese Tänzer bei Ihrer Choreografie nicht durch die Musik zu „stören“. Häufig konnte ich in diesem Zusammenhang schon beobachten, daß eine Figurenfolge selbst dann noch fertig getanzt wurde, wenn die Musik bereits aus war (?). Die Kommunikation der Paare untereinander besteht häufig aus Diskussionen, wer was in welchem Takt „falsch“ gemacht hat. Wo bleibt denn hier das Knistern, bitte? Der Partner ist doch ein liebenswerter Mensch und kein Sportgerät!

Welche Freude ist es dagegen für einen gefühlvollen Menschen wie mich, wenn ich eine Latina sehe, die zwar offensichtlich ein paar Pfunde zuviel hat für ihr rosa Minikleid und auch nur drei Schritte hin und her tanzt, dafür aber ihrem Tanzpartner aus ihren dunklen Augen ein glühendes und vielversprechendes „te quiero“ zuwirft. Die Betonung liegt bei dieser Beschreibung auf die Hingabe und nicht auf „Latina“ – oder haben wir Deutsche keine Gefühle?

Wenn Salsa als „Gesellschaftstanz“ erhalten bleiben soll, ist die Freude am tänzerischen Kontakt mit dem anderen Geschlecht und die Hingabe an die Musik unerläßlich. Dazu gehört zum einen, daß damit aufgehört wird, Salsa immer mehr zum Leistungssport zu erheben, sonst ist irgendwann auch die Salsa „tot“, ähnlich wie die überreglementierten Standardtänze, die heute im gelebten Alltag der Gesellschaft nur noch ein Schattendasein fristen (und früher so vielen Menschen Freude bereiteten). Denn dann gibt es nur noch einige professionelle Salsa-Tanzsportler (mit einer neidlos anerkannten guten sportlichen Leistung) und viele Zuschauer, die es ihnen gerne nachmachen würden, aber beim besten Willen nicht drei bis fünf Mal die Woche „trainieren“ können.

Zum anderen heißt tanzen nicht nur „im Takt“ zu sein. Sicher verlangt die amerikanische Mainstream-Salsa eher ein Tanzen in Linie und größere Strenge, während die kubanische Musik mehr das Runde, das Weiche betont, um hier nur zwei Beispiele zu nennen. Wenn eine Musik fetzig ist, dürfen auch die Tänzer richtig „aufdrehen“, aber wenn sie ruhiger wird oder gar traurig, ist eine Fallfigur einfach nur lächerlich (gehört das überhaupt zur Salsa?). Die Musik und der Kontakt mit dem Partner macht die Choreografie, nicht das im letzten workshop Gelernte oder anders ausgedrückt, unterschiedliche Musik und unterschiedliche Partner verlangen eine jeweils individuell andere Art zu tanzen.

Quo vadis, Salsa? Wir haben es selbst in der Hand. Eigenes nachdenken, fühlen, spüren ist gefragt und worum es uns unter dem Strich geht. Wollen wir in der Begegnung zwischen Mann und Frau in Harmonie mit der Musik Sehnsucht und Lebensfreude genießen oder hoffen wir darauf, in einer in weiten Teilen menschenverachtenden, globalisierten Welt durch gute Leistungen im „Salsasport“ unser beschädigtes Selbstwertgefühl zu reparieren?

Die Salsa geht von selbst nirgendwohin. Sie folgt uns lediglich auf unserem Weg.

US



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